Haul
Aussenfenster
Die Haul, sicherlich das flachbrüstigste Weibchen im Universum, führte die Rabit durch weitere blutrote Korridore. Überall herrschte eine makellose Sauberkeit. «Man schämt sich ja fast seine schmutzigen Pfoten auf den Boden zu setzen,» murmelte Vance gerade laut genug, dass die anderen ihn hören konnten.
«Man könnte vom Boden essen, darf aber nicht,» setzte Forne einen drauf. Nervöses Lachen antwortete ihm. Ihre Führerin liess nicht erkennen, ob sie die Bemerkungen gehört hatte.
Vor einem Aufzug mussten sie warten. Während Forne noch überlegte, wie er Raor in ein Gespräch verwickeln konnte, öffneten sich schon die Türen. Ein Haul kam heraus. Hastig machten die Rabit ihm Platz. Ohne weiter auf sie zu achten, trat er durch die Lücke und schritt davon. Verwirrt blickten die Rabit sich an. Nach all den Soldaten und Waffen hatten sie eine andere Behandlung erwartet.
Im Aufzug standen noch zwei Haul. Ohne Kommentar trat Raor ein. Die Rabit folgten ihr und drängten sich in eine Ecke, wo sie den grössten Abstand zu den Haul hatten. Wie zufällig streifte dabei die Pfote von Chermy den Hintern von Forne. Der Rabit schluckte seinen Ärger. Durch die Ablenkung hatte er verpasst, welches Ziel Raor gewählt hatte. 'Komisch,' dachte er, 'auf der Anzeige sieht man ja gar nichts!' Die Tür schloss sich, aber der Bildschirm über den Tasten blieb dunkel. Er sah sich nach einer anderen Anzeige um, aber fand nichts.
«Hast du gesehen was sie eingeben hat?» flüsterte Forne Vance ins Ohr.
«Nichts,» antwortete der genauso leise. «Vielleicht fährt er ja schon ans richtige Ziel? Oder das Ziel der anderen Beiden ist wichtiger?» Vance wirkte leicht abgelenkt, was Forne nicht weiter erstaunte: Boser streichelte ihn sanft mit ihrem Pfoten.
'Verdammte Weiber,' ärgerte Forne sich. 'Können keine vier Sekunden ihre Pfoten bei sich behalten!'
Als der Aufzug hielt, stürmte er so schnell hinaus, dass er fast mit Raor kollidierte. Damit Chermy keine weitere Chance hatte ihn zu begrabschen, hielt er die Haul zwischen sich und ihr. Die Rabit knickte irritiert ihre Ohrenspitzen, beschwerte sich aber nur mit einem Blick.
«Ist Raor eigentlich dein ganzer Name?» fragte er, um sich abzulenken. «Wir Rabit haben immer auch noch den Namen unserer Familie.»
Sie gingen an Wänden vorbei, die denen vor dem Quartier der Rabit ähnelten: Versenkte Panzerschotts und seltsame technische Strukturen mit unbekannter Funktion. «Man könnte sagen mein Haus entspricht in etwa einer Familie,» antwortete Raor. Sie blickte auf ihn herab. Es war seltsam ihren verkniffenen Gesichtsausdruck zu sehen und gleichzeitig ihre ruhige Stimme zu hören.
«Ich hoffe es macht dir nichts aus, uns herumzuführen,» meinte Vance vorsichtig.
Die Ohren von Raor zuckten. «Wie euch sicher bekannt ist, haben Haul keine Gesichtsmuskeln. Die Anordnung der Polster um unsere Augen als "wütend" zu interpretieren ist eine ethnische Fehleinschätzung. Wenn ihr längere Zeit mit uns zu tun habt, werdet ihr euch daran gewöhnen.»
'Und woher sollten wir das wissen?' fragte Forne sich, riskierte aber keine Frage.
«Ist Haur dann dein Haus?» wollte Chermy wissen.
«Ja.»
«Wofür steht Haur?» bohrte Chermy weiter.
«Mein Haus beschäftigt sich mit Kommunikation und Interpretation.» Ein Schleusenschott zuckte vor ihr in die Wand. Die Bewegung war so plötzlich und so schnell, dass die Rabit vor Schreck zurücksprangen.
«Scheisse,» fluchte Forne. Misstrauisch blickte er auf die Kanten der Schotts, die sie schon passiert hatten. 'Das sind ja richtige Todesfallen!'
«Vernünftig,» kommentierte Vance. «Wie sie das so schnell hinbekommen?»
Raor reagierte nicht auf die beiläufige Frage, sondern wartete bis die Rabit erneut zu ihr aufschlossen. Hinter ihnen schnappte das Schott so schnell zu, wie es verschwunden war. Die Haken des Verriegelungssystems griffen ineinander und sorgten für einen luftdichten Verschluss. Obwohl die beiden Schotthälften anscheinend mit voller Wucht aufeinanderprallten, war der Vorgang bis auf ein leichtes Zischen lautlos. Vance pfiff beeindruckt.
Vor ihnen öffnete sich das Innenschott auf die gleiche Weise. Dahinter folgte eine Galerie, die sich um den ganzen Hangar zog. Direkt vor ihnen führte ein breiter Laufsteg zu einer Reihe wartenden Kampfjäger der Haul. Fast in Brusthöhe der Rabit hatte der Steg auf beiden Seiten einen dicken Handlauf, der auf einer durchgehenden Glasplatte ruhte.
Ähnlich wie bei den Rabit hing der Jäger in einem Startgerüst, allerdings war er horizontal aufgehängt. Über und unter ihnen, links und rechts wiederholte sich die Anordnung. Forne zählte fünf Reihen nebeneinander, sie standen vor der zweiten Reihe von links.
Über ihnen war eine weitere Ebene zu sehen, bevor die Decke eine Grenze zog. Sein Standort verhinderte einen klaren Blick nach unten. Vorsichtig trat er an die Kante. Mit seinen Pfoten klammerte er sich an den dicken Handlauf, während sich der Boden nach vorne zu neigen schien, um ihn in den Abgrund zu schleudern. Sein Unterkiefer zitterte, als er tief durchatmete.
«Geht's?» fragte Vance verständnisvoll.
«Gleich.» Forne stand schwer atmend an der Brüstung und kämpfte gegen seine Höhenangst. Obwohl sein Verstand genau wusste, dass der Boden sich keinen Millimeter bewegte, sagte ihm sein Gefühl etwas anderes. Die massive Stange in seinen Pfoten bot ihm willkommenen Halt in einer schwankenden Welt.
Es war nicht zu erkennen, ob Raor etwas von seinen Probleme mitbekam, aber sie liess ihnen Zeit sich an den Anblick zu gewöhnen. 'Zumindest hetzt sie uns nicht hinaus,' dachte Forne. 'Jetzt ist es also soweit, ich fange schon an daran zu glauben ein Haul könnte nett sein.'
«Wie viele Schiffe sind es insgesamt?» unterbrach Vance die Pause.
«125 pro Hangar,» antwortete Raor sofort. «Die RORR hat insgesamt zwei mal vier solcher kleinen Jäger-Hangars und einen grossen Zentralhangar.»
Boser, die offensichtlich nicht unter Höhenangst litt, versuchte über die Stange nach unten zu sehen. «Was ist das? Das sieht aus wie ...»
Die Haul trat neben sie. «Der Weltraum. Im Moment haben wir keine Gefechtsbedingungen, aber die Schiffsführung hat beschlossen den Hangar trotzdem für euch zu öffnen.» Eine kurze Pause folgte. «Ich mag die Aussicht.»
Vance liess seine Pfote auf Fornes Schulter, verrenkte sich aber auch den Hals, um über die Stange zu sehen. «Wow! Dafür müsste man Eintritt nehmen. Ein paar Stühle aufstellen, eine Kaffeebar. Da steckt ein Vermögen drin!»
«Im Bug des Schiffs gibt es ein Observatorium, wo man sich bequem in einen Sessel legen und ungehindert hinausblicken kann,» erklärte Raor.
'Da muss es Wartelisten geben,' sagte sich Vance. 'Ich wage mir gar nicht vorzustellen, mit welchen Mitteln die Kioskbesitzer sich um den Platz da oben streiten. Das muss eine Creditfontäne sein!'
«Was hält die Luft zurück?» wunderte sich Chermy.
«Ein Schutzschirm,» vermutete Vance, der sich an Fornes Bericht erinnerte.
«Richtig,» bestätigte Raor.
«Natürlich muss er abgeschaltet werden, wenn die Jäger starten,» fügte Vance beiläufig hinzu.
«Nein, es werden nur entsprechende Lücken geschaffen,» widersprach die Haul.
Die Rabit sahen sich an. Der militärische Wert eines solchen Systems war unübersehbar. Wenn man gleichzeitig Schiffe warten, landen und starten lassen konnte, ohne den Hangar jedes mal evakuieren zu müssen, dann bedeutet das einen ungeheuren Vorteil in einer Schlacht. Sanitäter konnten Verwundete versorgen, ohne sie erst lange durch eine Schleuse zu transportieren. Techniker konnten sofort mit dem Austausch von beschädigten Systemen beginnen, ohne auf einen Druckausgleich zu warten oder durch unförmige Handschuhe behindert zu werden. Man musste nur mit der Luftfeuchtigkeit vorsichtig sein, damit sich nicht ständig irgendwo Eis bildete. Und natürlich auf Teile achten, die dem Sonnenlicht ausgesetzt waren, sonst verbrannte man sich ganz fürchterlich die Pfoten. Aber das konnte man mit isolierenden Decken und entsprechenden Werkzeugen in den Griff bekommen. Dazu kam noch, dass man nur ungeschützt war, während ein Jäger gerade abflog und keine klaffende Lücke in der Panzerung zurückblieb, die sich nur langsam schloss.
«Gibt es auch einen Schutzschirm um das ganze Schiff?» fragte Vance unschuldig.
«Ja,» antwortete Raor, die entweder noch nie etwas von Geheimhaltung gehört hatte oder sie gezielt mit Falschinformationen füttern sollte. «Unter Gefechtsbedingungen ist er natürlich viel stärker.»
«Klar,» nickte Vance verständnisvoll. «Kleinstmeteoriten und Staub sind ja nicht dazu geschaffen worden ein Schiff zu beschädigen.» Er stemmte sich nach oben und beugte sich weit über den Abgrund, während Boser seine Beine sicherte. Er meinte ein blaues Gleissen am Rand des Schirms wahrnehmen zu können. «Können wir auch nach unten und uns das näher ansehen?»
«Sicher.»
Forne atmete geräuschvoll aus, schloss die Augen und drehte sich mit einem Ruck um. Steif ging er neben der Haul zum Schott und sagte kein Wort.
«Hey, alles klar?» fragte Chermy sanft und suchte seinen Blick.
Er wich ihr aus. «Ja, ja, geht schon.»
Sie hob die Pfoten, um ihn zu umarmen, aber als sie seine Ablehnung bemerkte, liess sie es bleiben. Die Zurückweisung passte ihr offensichtlich nicht, aber das liess Forne kalt.
Der neue Gang glich seinem Pendant von oben bis aufs Haar. Vance blickte sich um, aber es gab keine Markierungen oder Hinweise, wo sie sich befanden. 'Wie finden die Haul sich hier nur zurecht?' Er hätte sich nicht gewundert, wenn sie wieder aus dem gleichen Schott in den Hangar gekommen wären, aber sie befanden sich tatsächlich in der untersten Ebene. Über ihnen verschwanden die Startvorrichtungen nach oben, ein paar Meter unter ihnen gähnte ein riesiges Loch in der Schiffshülle.
Rechts von ihnen führte eine Treppe nach unten. Vance sah keine Kette oder eine Absperrung oder auch nur ein Schild. «Können wir noch näher an den Schutzschirm heran?»
«Dann benötigen wir Sicherungsgurte.»
Der Rabit wollte seine Hoffnung schon aufgeben, als sie fragte: «Soll ich welche beschaffen?»
«Ja!» rief er aus, bevor ihm einfiel, dass er möglicherweise seine Kompetenzen überschritt. Majorin Boser beruhigte ihn aber sofort und strich ihm ermutigend über die Schulter. Zusammen traten sie an die Brüstung und sahen nach unten. Der Anblick war atemberaubend.
Die Aussicht erinnerte Boser an einen Besuch auf einem atmosphärelosen Mond, wo sie als Kind Stunden in einer Aussichtskuppel verbracht hatte. Nur hatte man dort die Kuppel mit Stahlträgern unterstützen müssen. Hier trennte einen scheinbar nichts von den leuchtenden Sternen und Gasnebeln, die sich regungslos zu ihren Hinterpfoten ausbreiteten. Ihr fiel auf, dass Vance sich plötzlich unter ihrem Griff versteifte. «Das gibt's nicht,» murmelte der Rabit und sah genauer hin.
«Was?» fragte sie besorgt, aber leise.
Vance rieb sich nachdenklich das Kinn. «Äh, Raor? Hast du einen kleinen Gegenstand, den du nicht mehr brauchst? Einen Stift oder so?»
Forne war ganz froh, dass Vance die Haul ausfragte. Die schlaflosen Nächte in den letzten Wochen hatten ihn immer reizbarer gemacht. Es fiel ihm schwer sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Eigentlich wollte er nur seine Ruhe, sich irgendwo in einem Bett zusammenrollen und drei Tage schlafen. Widerwillig musste er zugeben, dass die Haul sie gut behandelten. Natürlich hätte er gerne ein paar Stiefel und Kleidung gehabt. Aber es war warm genug, um halbnackt herumzulaufen. Selbst der Boden fühlte sich angenehm an, wenn auch ein wenig zu hart für seinen Geschmack. Das allgegenwärtige Rot ging ihm aber auf die Nerven. Dazu kamen die ständigen Annäherungsversuche von Chermy und die Tatsache, dass man ihn wohl nur mitgenommen hatte, weil die Haul aus irgendeinem Grund ein Interesse an ihm hatten. Forne machte sich keine Illusionen, wie viel er in seinem Zustand beitragen konnte. Aber es schmerzte trotzdem.
Besorgt beobachtete Chermy Forne. Der Zustand des Rabit machte ihr immer grössere Sorgen. Sie wagte sich nicht vorzustellen, was passieren könnte, wenn er unter dem Druck plötzlich zusammenbrechen würde. 'Wenn er sich wenigstens helfen lassen würde!'
Raor behielt die Rabit genau im Auge. Über die Sicherheitssysteme des Schiffs hatte sie Überwachungsparameter definiert, die rechtzeitig Alarm schlagen würden, damit sie noch eingreifen konnte. Dazu kamen zwanzig Haul des Sicherheitsdienstes, die sich in der Nähe bereit hielten. Denn ihr war völlig klar, warum die Rabit immer näher an den Schutzschirm heran wollten. 'Um eurem Leben ein Ende zu setzen.' Sie verstand Rarrarar einfach nicht. 'Warum verzögert er die Übergabe an das Lazarettschiff immer wieder? Diese Rabit benötigen dringend Hilfe, die wir ihnen nicht geben können. Sie können ja nach der Behandlung wiederkommen und ein Schiff besichtigen.' Nachdem sie ihre Überlegungen notiert hatte, erhielt sie eine unerwartete Nachricht von Rarrarar: «Wir haben niemals etwas einem der über 2'500 Rabit gehört, die bisher an den Wettkämpfen teilgenommen haben.»
«Bedeutet das, dass die Rabit ihren Leuten nicht helfen können?» fragte Raor zurück.
«Das ist eine Möglichkeit, die ich in Erwägung ziehe. Aber da ist auch ein Geruch, den ich nicht zuordnen kann. Daher suche ich momentan umkehrbare Optionen.»
Anmerkungen
Erinnerst du dich noch daran, wie du das erste Mal Star Wars gesehen hast? Die auf- und zuschnappenden Türen? Das hat Star Wars von all den anderen Science Fiction Filmen unterschieden: Zum ersten Mal hat sich jemand hingesetzt und sich Gedanken darüber gemacht, dass Leute in seiner fiktionalen Welt leben. Was ist der Sinn an einer Luftschleuse, wenn sie eine Minute zum Schliessen braucht? Luftschleusen müssen sich in einem Augenblick öffnen und schliessen. Sicher, es ist viel dramatischer, wenn der Held gegen einen Sturm an herausschiessender Luft ankämpfen muss und so. Aber Star Wars war anders. Es war realistisch. Schiffe und Ausrüstung hatten Schrammen. Da war sorgfältig platzierter Schmutz und Abnutzung.
Es war eine wichtige Erfahrung für mich. Nach diesem Film wollte ich Geschichten, die Sinn machten.